Brief des Präsidenten – Sommer 2018 – Schein und Sein Wehr- und sicherheitspolitisches Bulletin Nr. 5/9/18

Traditionell wird das politische und damit auch journalistische Sommerloch mit Bundesheergeschichten gefüllt. Jahrelang wurde das Eurofighter-Thema durch die Arena getrieben. Voriges Jahr konnte sich der Boulevard am Tod eines Rekruten in Horn abarbeiten. Heuer bildete die Berufung eines neuen Generalstabschefs den Rahmen, um wehrpolitische Botschaften zu transportieren.

Verfassungskonformen Zustand herstellen

General Robert Brieger stellte in seinen ersten Wortmeldungen klar, dass er als Hauptaufgabe des Bundesheeres die militärische Landesverteidigung sieht. Schonungslos legte er dar, dass diese derzeit nicht ausreichend gesichert sei. Aber diese Fähigkeit wieder zu erlangen, wäre das langfristige Ziel. Damit würden auch alle subsidiären Aufgaben wie Katastrophenhilfe oder Assistenzleistung erfüllbar sein. Und man kann hinzufügen: Damit wäre auch dem Artikel 79 BV-G – „Dem Bundesheer obliegt die militärische Landesverteidigung“ – Genüge getan.

Der selbe Verfassungsartikel normiert aber auch: „Das Bundesheer ist nach den Grundsätzen eines Milizsystems einzurichten.“ Jahrzehntelang funktionierte dieses Milizsystem derart, dass an den Grundwehrdienst verpflichtende Truppenübungen anschlossen, die über einen Zeitraum von mehreren Jahren abgeleistet wurden. Unter Bundeskanzler Schüssel und Verteidigungsminister Platter wurden die verpflichtenden Truppenübungen zuerst ausgesetzt und letztlich abgeschafft. Dieses Vorgehen passte zur Vorbereitung auf ein kleines, NATO-kompatibles Berufsheer – denn man erinnere sich, dass in der damals gültigen Sicherheitsstrategie aus 2001 die NATO-Option enthalten war.

Mit der Volksbefragung 2013 über die Beibehaltung der Wehrpflicht und gegen die von der SPÖ propagierte Einführung eines viel zu kleinen Berufsheers sowieder danach vom Parlament – ohne NATO-Option – neu beschlossenen Sicherheitsstrategie 2013 wurden diese Überlegungen in die Mottenkiste der österreichischen Geschichte geschickt. Und daher ist es logisch und folgerichtig, wenn die ÖOG seit Jahren die Rückkehr zum „Wehrdienstmodell 6+2“ einfordert. Denn: Wehrpflicht bedeutet Grundwehrdienst und daran anschließende, verpflichtende Milizübungen. Es ist daher sehr erfreulich, wenn Minister Kunasek den Auftrag des Regierungsprogramms – beim Bundesheer wieder einen verfassungskonformen Zustand herzustellen – ernstnimmt und ebenfalls für eine Rückkehr der verpflichtenden Truppenübungen eintritt.

Das Bundesheer als „Club Militärranee“?

Schockierend ist jedoch die Reaktion des Koalitionspartners ÖVP. Der – inzwischen aus anderen Gründen zurückgetretene – ÖVP-Rekrutensprecher Dominik Schrott sagte: „In der Wahrnehmung von Rekruten kann aus dem Grundwehrdienst kein ausreichender persönlicher Nutzen für ihr späteres Leben gezogen werden.“ Dazu hat der ehemalige ÖVP-Verteidigungsminister Robert Lichal bereits vor Jahren angemerkt, dass der Wehrdienst kein Aufenthalt in einem „Club Militärranee“ ist. Der ehemalige ÖVP-Abgeordnete Georg Vetter bezeichnete die Überlegung, die Landesverteidigung aus der Wahrnehmung der Rekruten zu definieren, „originell“. Und fügte hinzu: „Im Übrigen wäre es interessant zu erfahren, ob der Finanzsprecher der ÖVP in ähnlichen philosophischen Kategorien denkt wie der Rekrutensprecher. Dann könnte vielleicht einmal der Satz fallen: ‚In der Wahrnehmung von Steuerzahlern kann aus der Steuerpflicht kein ausreichender persönlicher Nutzen für ihr späteres Leben gezogen werden.‘“

Wir halten daher fest: Junge Frauen und Männer werden ausgebildet, um im Einsatzfall zu bestehen. Sie erwerben dabei Fähigkeiten, von denen wir hoffen, dass sie diese niemals einsetzen müssen. Der Wehrdienst ist Dienst an der Gesellschaft, um unsere Werte zu verteidigen. Die Sinnstiftung für den Wehrdienst kommt aus diesen gemeinsamen Werten. Wer diesen Zusammenhang nicht sieht, wer nur den Eigennutz im Fokus hat, hat diese Werte bereits verloren, ehe sie von außen angegriffen werden.

Es ist beschämend, dass kein aktiver ÖVP-Politiker diese Klarstellung getroffen hat. Georg Vetter bezeichnet daher folgerichtig die Verteidigungspolitik als offene Flanke der ÖVP unter Bundeskanzler Kurz.

BH-Budget: Der politische Wille in Zahlen

Ähnliches lässt sich für das Verteidigungsbudget sagen. Im Regierungsprogramm ist zu lesen: „Durch eine langfristig gesicherte und ausreichende budgetäre Bedeckung ist der Investitionsrückstau der vergangenen Jahre ab 2018 aufzulösen.“ Während in anderen europäischen Ländern 2 % des BIP für Verteidigung angestrebt werden, dümpeln wir in Österreich bei ca. 0,6 % herum. Damit lässt sich kein, auch durch SPÖ dominierte Vorgängeradministrationen mitverursachter, Rückstau beheben. Und wenn dann hinter vorgehaltener Hand gemunkelt wird, dass sich der Minister eben nicht genug für sein Budget eingesetzt hätte, dann zeigt das nur den Kleingeist der Akteure. Es liegt in der staatspolitischen Verantwortung der Regierungsspitze, die Steuermittel zu verteilen.

Wer seinem Verteidigungsminister kein Budget zugesteht, aus welchem Personal, Betrieb und Investitionen eigenverantwortlich finanziert werden können, stellt ein Ressort gleichsam unter Kuratel. Das hat für den Kurator den Vorteil, dass Minister Kunasek ständig als Bittsteller auftreten muss. Parteipolitisch macht es vielleicht Sinn, dem Koalitionspartner keine Erfolge zu gönnen. Staatspolitisch ist das aber kontraproduktiv. Und es ist nicht nur eine Geringschätzung des Ministers, sondern auch eine Diskreditierung des Bundesheeres und all jener, die sich ernsthaft und ohne parteipolitische Hintergedanken für die Landesverteidigung einsetzen.

Und letztlich wird sich die Regierungsspitze aus Kanzler und Vizekanzler auch die Verantwortung zuschreiben lassen müssen, wenn das Bundesheer seine Aufgaben nicht erfüllen kann, wie es der Generalstabschef aufgezeigt hat.

Sonderbudgets – die Problemlösung?

Ein probates Mittel zur Überwindung der chronischen Unterdotierung des BH-Budgets sind anlass- oder themenbezogene Sonderbudgets. Im August wurde ein solches Paket für die Aufstockung der Black Hawk-Flotte von neun auf zwölf Hubschrauber und die Nachbeschaffung der veralteten Alouette-Hubschrauber vom Ministerrat beschlossen. Außerdem soll der Abgang von hunderten Fahrzeugen (vor allem Pinzgauer und Puch G sowie LKW) ersetzt werden. Diese Maßnahmen sind zweifellos dringend erforderlich und der Beschluss daher höchst begrüßenswert.

Und trotzdem drängen sich ein paar Fragen auf:

  1. Warum muss Gerät, das zweifellos militärisch unumgänglich ist, aus einem Sonderbudget finanziert werden?
  2. Warum muss militärisches Gerät mit dem Etikett „Katstrophenschutz“ versehen werden? (Übrigens: vor Katastrophen können Hubschrauber nicht schützen, aber sie können danach Hilfe leisten)
  3. Warum werden 24 Alouette-Hubschrauber durch 12 Neue ersetzt? Wie wird die Reduktion um eine Staffel begründet oder wettgemacht?
  4. Wann folgt das Sonderbudget für die Mannesausrüstung, Kommunikations- und Führungsmittel für alle 55.000 Soldaten?
  5. Wann folgt das Sonderbudget für geschützte, gepanzerte Mobilität der Soldaten?
  6. Wann folgt das Sonderbudget für alle Baumaßnahmen in den Kasernen, um menschenwürdige Zustände für alle Soldaten zu schaffen?
  7. Wann folgt das Sonderbudget für die Nachrüstung und/oder Ersatz der Eurofighter?
  8. Wie hoch ist der Mittelbedarf für alle diese unumgänglichen Investitionen in den nächsten Jahren?
  9. Wieso gilt ein Verteidigungsbudget von mindestens 1 % des BIP pro Jahr angesichts dieser Notwendigkeiten als überzogen?

Als sicherheitspolitisches Gewissen der Republik würden wir uns über Antworten auf diese berechtigten Fragen freuen. Und zwar am besten von jenem, der das Ressort unter finanzielle Aufsicht gestellt hat und daher die Verantwortung dafür trägt – vom Bundeskanzler.

Mag. Erich Cibulka, Brigadier
Präsident der Österreichischen Offiziersgesellschaft

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