Rede des Generalstabschef in Wr. Neustadt

Rede des ChGStb, General Edmund ENTACHER, zum Tag der Leutnante und der Ausmusterung des Jahrgangs „Hauptmann Hermann KIRCHNER“ am Samstag, dem 29. September 2012, 1300 Uhr auf dem Maria-Theresien-Platz der Theresianischen Militärakademie

Hochgeehrter Herr Bundespräsident!
Hochgeehrter Herr Bundesminister!
Geschätzte Ehren- und Festgäste!
Meine sehr geehrten Damen und Herrn Leutnante!

Am Beginn meiner Ansprache möchte ich aus einem Brief zitieren, den mir der Kommandant des Allied Force Command Madrid, Generalleutnant Alfredo Cardona TORRES am Ende einer internationalen NATO-Übung übermittelt hat.
Diese Übung fand im Mai in der früheren jugoslawischen Teilrepublik MAZEDONIEN statt, es nahmen 13 Nationen daran teil, darunter 33 Offiziere und Unteroffiziere des Österreichischen Bundesheeres unter dem Kommando des Kommandanten der 4. Panzergrenadierbrigade, Oberst des Generalstabsdienstes Christian RIENER.
In diesem Brief steht unter anderem zu lesen und ich zitiere:
„Oberst Christian RIENER verdient eine besondere Anerkennung für seine außergewöhnliche Arbeit als Kommandant einer multinationalen Brigade. Seine Führungsqualität und sein außerordentliches Verständnis für militärische Planungsprozesse waren Teil des Übungserfolges. Das Können der österreichische Offiziere und Unteroffiziere in ihren jeweiligen Fachbereichen, ihr Engagement, ihre bemerkenswerte Haltung und Einstellung, ihr Professionalismus trugen ebenfalls entscheidend zum Gelingen der Übung bei. NATO-Kommandanten wären stolz, solch ein engagiertes Team in ihren Stäben zu haben.“   Zitatende

Ich wechsle auf den Schauplatz ÖSTERREICH und zitiere aus der Morgenmeldung des Lagezentrums der Einsatzsektion – ebenfalls nur auszugsweise:
„Donnerstag, 13. September 2012 – Beendigung des Katastrophenhilfseinsatzes im Bezirk LIEZEN.
Erbrachte Leistung: 125 000 Arbeitsstunden, 19 Brücken, 15
Hangstabilisierungen, 20 km Bachläufe von Verklausungen befreit, 153
Hubschraubereinsätze mit 59 Flugstunden. 700 Mann davon mehr als 400 Grundwehrdiener im Einsatz.“

Neuerlicher Schauplatzwechsel, diesmal in den KOSOVO – 28. November 2011: Im Zuge der Räumung einer Straßensperre im NORD-KOSOVO kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Einheiten des deutsch-österreichischen Reservebataillons und gewalttätigen Demonstranten.

Dabei werden 11 österreichische und 19 deutsche Soldaten teilweise sogar schwer verletzt. Die militärärztliche Versorgung funktioniert bestens. Die Verletzten werden durch eine C-130 Transportmaschine der österreichischen Luftstreitkräfte zur weiteren Versorgung nach Hause geflogen. Nachdem der deutsche Bataillonskommandant angeschossen wird, übernimmt sein österreichischer Stellvertreter, Oberstleutnant Franz PIRKER und führt den Einsatz mit Umsicht und Ruhe bewahrend erfolgreich gegen die Aufrührer zu Ende. Unsere damals verletzten Soldaten sind mittlerweile wieder voll genesen.

Was möchte ich mit diesen drei Beispielen ansprechen? Welche Botschaft möchte ich damit vermitteln?

Nun – es sind drei Beispiele, in denen sich ausgezeichnetes Führungsverhalten, militärisches und fachliches Können widerspiegeln und einen Teil des vielfältigen Aufgabenspektrums des Österreichischen Bundesheeres darstellen.

Die unterschiedlichsten Dienststellen dieses Bundesheeres werden ab morgen Ihre neue militärische Heimat oder was die neuen Milizoffiziere betrifft, weiterhin eine wohlvertraute Heimat sein und wir werden bei der anschließenden Defilierung auf der Grazer Strasse einen repräsentativen Querschnitt dieses Bundesheeres anschaulich erleben.

Dabei werden Sie keineswegs mit veralteten Waffen und Gerätschaften konfrontiert werden, wie es jüngst ein wenig wohlmeinender Journalist zum Ausdruck gebracht hat. Wie überhaupt manche Zeitungsartikel jede Seriosität in der derzeitigen Berichterstattung vermissen lassen. Aber dies ist Teil der demokratischen Freiheit – jene demokratische Freiheit, wie sie das Österreichische Bundesheer verfassungsmäßig zu schützen hat.

Daher ist Gelassenheit angesagt, zumal wir um die besondere Leistungsfähigkeit unserer Rekruten, Chargen, Unteroffiziere, Offiziere und Zivilbediensteten wissen und dieselbige jedem internationalen Vergleich mehr als standhält.

Meine sehr geehrten Damen
und Herren Leutnante!

Die Theresianische Militärakademie und die Waffenschulen des Österreichischen Bundesheeres haben Sie nach wissenschaftlichen Grundsätzen in Theorie und Praxis umfassend ausgebildet.
Es liegt jetzt an Ihnen, dieses im täglichen Dienstbetrieb in der gemeinsamen Arbeit mit Untergebenen und Vorgesetzten umzusetzen.
Meine diesbezügliche hohe Erwartungshaltung an Sie lässt sich an Hand der eingangs erwähnten drei Beispiele ableiten.

DieInternationalisierung des Österreichischen Bundesheeres nimmt seit Jahren kontinuierlich zu. Dies erkennt man an den für einen Kleinstaat hohen Auslandseinsatzstärken mit nahezu 1500 Soldatinnen und Soldaten in vielen Krisenregionen dieser Erde.

Dies erkennt man weiters an der Übungsintensität von Truppen und Stäben in multinationaler Zusammensetzung sowohl im Inland als auch im Ausland. Ich verweise auf die derzeitige Standby-Phase einer EU-Battlegroup bestehend aus 6 Nationen, in welcher Österreich mit der 3. Panzergrenadierbrigade die logistische Verantwortung trägt.

Zahlreiche bilaterale Ausbildungsvorhaben und Zusammenarbeitsprogramme runden diese Aufzählung ab.

Diesen Tatsachen trägt die Theresianische Militärakademie in der Offiziersausbildung in konsequenter Weise Rechnung. Sie alle haben mehrwöchige Auslandspraktika bei derzeit 15 ausländischen Truppenkörpern mit  Erfolg absolviert.

Zudem gibt es bereits seit längerem ein einsemestriges Stundentenaustauschprogramm mit der US-Militärakademie WESTPOINT. Möglicherweise öffnet die Theresianische Militärakademie – die älteste Militärakademie der Welt –  in Zukunft ihre Pforten, um Offiziere auch anderer Nationen nach der bewährten österreichischen Methode auszubilden.

Vor 38 Jahren stand ich als Leutnant ebenfalls hier auf dem Maria-Theresien-Platz um mein Treugelöbnis zu sprechen. Es war eine Zeit des personellen, materiellen und strukturellen Aufwuchses des Österreichischen Bundesheeres und dementsprechend herrschte Aufbruchstimmung.

Jetzt erleben wir einen Reduktionsprozess, der für viele Kaderangehörige persönlich wichtige Fragen aufwirft: Wie geht es weiter mit meinem Verband, mit meiner militärischen Dienstelle, mit meiner Waffengattung?

Das heißt, es macht sich eine gewisse Unsicherheit breit, wie ich im Rahmen meiner Dienstaufsicht immer wieder feststelle.

In dieser Situation stoßen Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren Leutnante, in die Welt der Truppe und das erfüllt mich mit Optimismus und Zuversicht, weil Zeiten des Umbruchs nicht nur die erfahrenen und routinierten Führungskräfte erfordern, sondern auch die jungen, die unbelastet von bisherigen Entwicklungen ans Werk gehen können. Dies ergibt die optimale Mischung um sich den Herausforderungenzu stellen.

Ich habe es vorhin angesprochen: das Österreichische Bundesheer befindet sich in einem Reduktionsprozess. Dafür gibt es verschiedene Gründe und Ursachen. Zum einen haben sich die politischen Gegebenheiten in Europa und der Welt – wenn ich es mit meiner Ausmusterung vergleiche – massiv verändert.

Die Paktkonfrontation ist Geschichte und potentielle Gegner von damals sind heute im militärischen Bündnis oder Teil der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union. Andererseits haben sich neue Bedrohungsformen entwickelt wie fundamentaler Terrorismus oder Cyber-Angriffe oder es sind Konflikte hochgekommen – auch innerhalb Europas – die ein gemeinsames Vorgehen der Nationennotwendig machen, wenn ich etwa an die Konflikte vor unserer Haustüre denke.

Dies alles hat bereits Berücksichtigung in den Lehrinhalten unserer Akademien und Schulen gefunden und ist Ihnen bestmöglich vermittelt worden.

Ich behaupte, dass das Österreichische Bundesheer seine neue Rolle unter veränderten Gegebenheiten kennt, wenngleich das ausformulierte Konzept der Sicherheitsstrategie noch geduldig der parlamentarischen Behandlung harrt.

Im Generalstab haben wir dennoch mit Zustimmung des Herrn Bundesministers ein Streitkräfteprofil ausgearbeitet, das auf mögliche Entwicklungen Bezug nimmt. Es baut auf die seinerzeitige umfassende Bestandsaufnahme der Bundesheerreformkommission und deren klare Positionspapiere und Empfehlungen zur Streitkräfteentwicklung sowie auf den Bericht der Bundesregierung zur Sicherheitsstrategie auf.

Wir haben daraus 18 verteidigungspolitische Aufgaben abgleitet und präzise definiert, welche Fähigkeiten wir hiefür ausbauen müssen, welche Fähigkeiten wir halten müssen, wo wir uns in Zukunft zurücknehmen können und wo wir international kooperieren müssen.
Hier können wir nicht auf Abwarten setzen.
Dies nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund drastischer Budgetkürzungen, die sich massiv auf die Ambitionen des Österreichischen Bundesheeres auswirken. Dennoch möchte ich die noch verfügbare Substanz unserer Truppen auf einem möglichst hohen Niveau erhalten, um die heutige Leistungsfähigkeit und Flexibilität nicht zu verlieren. Dies macht Reduzierungen in bestimmten Bereichen und eine klare Setzung von Schwergewichten und Prioritäten sowie Anpassung der Strukturen notwendig.

Es darf uns das Know-how nicht abhanden kommen. Einem Verlust unserer Kernfähigkeiten müssen wir durch Pflege des Handwerks und Intensivierung der Übungstätigkeit nachhaltig entgegenwirken. Hierbei nehmen Sie, meine Damen und Herren Leutnante, eine wichtige Rolle ein.

Obwohl im Lichte der aktuellen Diskussionen die Katastrophenhilfe einen breiten Raum einnimmt, dürfen wir die Fähigkeit des Einsatzes der verbunden Waffen, also das konzertante Zusammenwirken der Waffengattungen nicht vernachlässigen, wiewohl wir Kampfpanzer und Artillerie wesentlich verringern werden.

Im Inland werden wir weiterhin ein Schwergewicht bei der Katastrophenhilfe setzen und wenn es darum geht, Schutz- und Sicherungsmaßnahmen wahrzunehmen.

Natürlich hat die klassische Landesverteidigung nicht mehr die gleiche Gewichtung wie in der Vergangenheit, aber – und das möchte ich mit Nachdruck festhalten: sie ist noch lange nicht obsolet, zumal Europa von uns mit Recht erwarten kann, dass wir unseren verlässlichen Beitrag zur Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik leisten, nicht zuletzt auch durch eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit anderen Streitkräften.

So wie es im Rahmen unserer Auslandseinsätze bereits jetzt der Fall ist, ob im Kosovo, in Bosnien, auf den Golanhöhen oder im Libanon oder auch  im Format der derzeit bereitgehaltenen EU-Battlegroup bestehend aus Deutschland, Tschechien, Irland, Kroatien, Mazedonien und Österreich.

Das Österreichische Bundesheer hat in den letzten Jahren eine weitere Fähigkeit aufgebaut und wird sie weiter ausbauen, die in Zukunft eine wesentliche Rolle spielen wird, wenn es um die Abwehr von Cyber-Attacken geht. Hier genießen unsere Experten eine weltweite Anerkennung.

Insgesamt muss das Österreichische Bundesheer die strategische Handlungsreserve der Republik in Krisensituationen außergewöhnlichen Umfangs sein.

Dies und die vorhin angesprochenen Fähigkeiten zur Bewältigung der Inlandseinsätze und der Auslandseinsätze können durch ein flexibles, bewährtes und funktionierendes Mischsystem von Berufssoldaten, Milizsoldaten und Grundwehrdienern sichergestellt werden.
Noch!

Mit einem Wegfall der Grundwehrdiener, verringert sich in der Folge in einem absehbaren Zeitraum die Anzahl der Milizsoldaten. Dies bedeutet, dass wir unsere derzeitige Auslandseinsatzstärke von immerhin rund 1500 Mann signifikant absenken werden müssen und somit die Außenpolitik keinen gewichtigen Handlungsspielraum mehr hat.

Mit einem Wegfall der Grundwehrdiener, können wir jene Katastrophenszenarien nicht mehr abdecken, die hohe Mannstärken erfordern. Das gleiche gilt für mannschaftsintensive sicherheitspolizeiliche Assistenzen oder für Krisen außergewöhnlichen Umfangs.

Die Argumente ließen sich noch weiter fortsetzen.

Nun kann man der Meinung sein, dies lässt sich mit Freiwilligen kompensieren.

Dieser Meinung bin ich nicht, da ich weder Ansätze Richtung ausreichend vorhandener Budgetmittel erkenne, noch die Bereitschaft, umfangreiche gesetzliche Änderungen herbeizuführen.

Ein Berufsheer auf Basis derzeitiger Mittel und legistischer Rahmenbedingungen bedeutet Absinken von Qualität, Quantität und Fähigkeiten.

Meine sehr geehrten Damen
und Herren Leutnante!

Sie werden in Kürze das Treuegelöbnis sprechen. Dieses Gelöbnis endet mit den Worten: „dem österreichischen Volk zu dienen“.

In einer weitestgehend egoistischen Gesellschaft, sollte der Weg der Entsolidarisierung nicht noch weiter begünstigt werden, in dem der hohe Wert des „Dienens“ seinen Stellenwert verliert.

Dieses Land gibt seiner Jugend so viel, einiges sollte zurückkommen.

An den Kommandanten aller Ebenen, an allen Kaderfunktionen und ab morgen auch an Ihnen, meine Damen und Herren Leutnante, liegt es, diesen Dienst sinnstiftend zu gestalten. Hierin haben Sie eine große Verantwortung und Verpflichtung.

Ich gratuliere Ihnen zum erfolgreichen Abschluss der Offiziersausbildung und wünsche Ihnen alles Gute.
Möge Ideenreichtum, Gestaltungswille, Gesundheit und das viel zitierte
Soldatenglück Ihren neuen Weg begleiten.

Es lebe die Theresianische
Militärakademie.

Es lebe das Österreichische
Bundesheer.

Es lebe die Republik
Österreich.

 

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